Jenseits von Natur und Kultur – Philippe Descola
Mit Jenseits von Natur und Kultur von Philippe Descola habe ich mir das vermutlich anspruchsvollste Werk, das bisher in diesem Blog besprochen wurde, herausgesucht. Aber was passt besser zu einem Blog der den Titel „Das beste Buch der Welt“ trägt, als über ein Buch zu schreiben, welches sich mit den unterschiedlichen Weltsichten, oder im weiteren Sinne, den Kosmologien, wie sie auf unserem Planeten vorkommen, beschäftigt und das sich diesem Thema sowohl aus ethnologisch-anthroplogischer, als auch aus philosophischer Richtung kommend, annähert.
Weltbilder – Kosmologien
In dem Buch Jenseits von Natur und Kultur identifiziert Descola vier verschiedene, grundsätzliche Weltbilder – Animismus, Totemismus, Analogismus und Naturalismus. Er stellt diese Kosmologien mit all ihren Eigentümlichkeiten vor und zeigt die Unterschiede, die es zwischen ihnen gibt, auf.
Animismus
Totemismus
Die Ureinwohner Australiens werden von Descola als Beispiel für einen ausgeprägten Totemismus herangezogen. Eingebettet in eine spezifische Entstehungsgeschichte, die nicht abgeschlossenen Traumzeit, identifizieren sich die Menschen mit anderen Entitäten der Natur und sehen sich selbst als aus diesen Elementen entstanden und mit ihnen verwandt an. Dies führt zu Aufteilung der Gesellschaften in verschiedene Clans, die sich mit bestimmte Eigenschaften mit ihrem jeweiligen Totem teilen und darüber hinaus zu komplexen Heiratsregeln zwischen den den einzelnen Mitgliedern der Verbände. Aber auch im Bereich des Totemismus wird die Welt noch als Einheit aufgefasst.
Analogismus
Den Analogismus stellt Descola am Beispiel verschiedener Nahaul-sprechender Stämme Mittelamerikas, aber auch der Chipaya, einem aus nur noch wenigen Mitgliedern bestehenden Volkes in Bolivien dar, deren Gesellschaft und Kosmologie, obwohl mittlerweile durch christlichen Einfluss geändert, immer noch die aus dem Inkareich stammenden Strukturen aufweist. Dem Analogismus eigen ist die Ansicht, dass die Welt auf Entsprechungen beruht, dass Makrokosmos und Mikrokosmos sich gegenseitig entsprechende Abbilder sind und somit eine Einheit bilden.
Naturalismus
Nur der Naturalismus, die Weltanschauung, die heute das westliche Abendland prägt, zeigt die Eigenschaft die Welt in die beiden unvereinbaren Bereiche Natur und Kultur aufzuteilen. Mit weitreichenden Folgen für Natur und Umwelt, aber natürlich auch für die Menschen.
Relationen
Neben der Beschreibung der Weltbilder, zeichnet Descola in Jenseits von Natur und Kultur auch ein Bild der Relationen zwischen den einzelnen Bestandteilen innerhalb einer Gesellschaft bzw. in ihrer Beziehung zu anderen Gesellschaften. Gabe, Tausch oder Raub als Mechanismen, um mit äquivalenten Gliedern in Beziehung zu treten – Produktion, Schutz und Übermittlung, als Verknüpfungen zwischen nicht-äquivalenten Gliedern.
Fazit
Descola stellt die vier von ihm beschriebenen Kosmologien als völlig gleichwertig nebeneinander, anstatt sie auf verschiedene Entwicklungsstufen stellen zu wollen, wie dies im abendländischen Denken häufig geschehen ist. Jenseits von Natur und Kultur ist als anthropologische Weltbeschreibung angelegt. Nicht mehr und nicht weniger. Tatsächlich stellt der Autor auch keine Forderungen auf, obwohl sich solche aus dem Gelesenen abgeleitet, dem Leser während der Lektüre vielleicht aufdrängen mögen. Jenseits von Natur und Kultur gibt Denkanstöße und wird zweifelsohne die Diskussion, über die Beziehung des Menschen zur Natur im allgemeinen, aber auch zu den nicht-menschlichen Mitbewohnern des Planeten, den Tieren und Pflanzen, beleben und anregen. Ob sich daraus bereits eine neue Ethik für unser Zusammenleben mit den anderen Wesen dieser Welt ableiten lässt, wird die Zukunft zeigen.
Philippe Descola
Descola studierte bei Claude Levi-Strauss, dem Begründer des ethnologischen Strukturalismus und Autors des bei Suhrkamp erschienen Buches „Traurige Tropen“. Heute ist Descola Professor für Anthropologie der Natur am College de France, einer der weltweit wichtigsten Forschungseinrichtungen mit hervorragender internationaler Bedeutung. Seine Feldforschungen führten Descola an den Amazonas, wo er mehrere Jahre bei verschiedenen der Jivaro-Sprachfamilie angehörenden indigenen Ethnien verbrachte. 2011 erschien beim Suhrkamp-Verlag Descolas Buch „Leben und Sterben in Amazonien: Bei den Jivaro-Indianern“. Das Buch wurde übrigens von Eva Moldenhauer übersetzt, die ich an dieser Stelle erwähnen will. Ein Buch, mit einer solchen Informationsdichte und Komplexität zu übersetzen, kann man nur als Meisterleistung bezeichnen.