Die Geister der gelben Blätter – Hugo und Emmy Bernatzik – 1942

Irgendwo auf der Welt durch ein Stück unerschlossenen Regenwaldes wandern und dort auf ein bisher unbekanntes Volk zu stoßen, das ist wohl der Traum jedes Ethnologen. Für das Ethnologenehepaar Hugo und Emmy Bernatzik ging dieser Traum in Erfüllung, als sie während ihrer Siam-Expedition durch Südostasien  in den  Jahren 1936-37, den spärlichen Berichten von Missionaren und Jägern folgend, in das zentrale Bergland von Siam (heute Thailand) in das Grenzgebiet zu Laos reisten. Nach tagelangen Wanderungen durch den tropischen Regenwald stießen sie endlich auf die „Geister der gelben Blätter“.

Bernatzik - Die Geister der gelben Blätter - Bucheinband

Bernatzik – Die Geister der gelben Blätter – Bucheinband

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Dieses Volk, das heute aus noch etwa 375 Menschen besteht, nennt sich selbst eigentlich „Mlabri“, was Waldmenschen bedeutet, von den Thai wird es Phi Tong Luang genannt.  Den Namen „Die Geister der gelben Blätter“ erhielten sie von Jägern der Thai oder Lao. „Die Geister der gelben Blätter“ verließen ihre einfach gebauten, mit Bananenblättern gedeckten Unterstände, wenn die Blätter vergilbt waren. Bei ihren Streifzügen im Wald fanden die Jäger dann zwar manchmal die verlassenen Unterkünfte, die Menschen aber blieben unauffindbar.

Bernatzik - Die Geister der gelben Blätter - nestartige Behausung der Mlabri

Bernatzik – Die Geister der gelben Blätter – nestartige Behausung der Mlabri

 

„Es gehört zu den eigenartigsten Erlebnissen des Forschers, inmitten von Hochkulturvölkern auf Splitter eines uralten primitiven Volkes zu stoßen, das trotz Jahrtausenden der Entwicklung seine ursprüngliche Eigenart bewahrt hat. Es lockt nicht nur die Tatsache, hier den Weg zur ältesten Menschheit finden zu können, sondern auch ein innerstes Bedürfnis, in die Seele dieser Menschen einzudringen und in ihr die Grundpfeiler des menschlichen Daseins zu erkennen.“

Bernatzik - Die Geister der gelben Blätter - Expedition auf Elefanten

Bernatzik – Die Geister der gelben Blätter – Expedition auf Elefanten

Es war in der Tat ein bemerkenswerter Augenblick, als die Bernatziks dann erfolgreich eine der verstreut im Urwald lebenden Gruppen ausfindig machen konnten und auch dazu in der Lage waren ihr Vertrauen zu gewinnen. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen lebte  das Ehepaar bei dieser Gruppe und erforschte sie mittels teilnehmender Beobachtung. Bernatzik versuchte die Sprache zu lernen und erstellte wohl das erste Wörterbuch, das die Sprache der „Mlabri“ zum Inhalt hat. In seiner Zusammenfassung schreibt er:

„Die Phi Tong Luang sind unter den heute lebenden Völkern die reinsten Vertreter der Träger einer vermutlich vorneolithischen Holz- oder Bambuskultur…“

Bernatzik - Die Geister der gelben Blätter - Mlabri-Frau mit Kind

Bernatzik – Die Geister der gelben Blätter – Mlabri-Frau mit Kind

Die Mlabri befanden sich also zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Bernatzik noch auf einer kulturellen Entwicklungsstufe vor der Steinzeit, ihren Lebensunterhalt erwarben sie als Jäger und Sammler. Wobei die Jagd mangels Waffen eher von untergeordneter Natur war. So berichtet Bernatzik davon, dass auf dem Speiseplan an tierischen Produkten meist Schnecken, Raupen, Schildkröten, Frösche, Eichhörnchen, Bambusratten, Eier und Honig standen, die einfach per Hand gefangen oder eingesammelt werden konnten. Genetische Untersuchungen in neuerer Zeit haben gezeigt, dass die Mlabri seit etwa 800 Jahren völlig isoliert gelebt haben.

Obwohl der Schwerpunkt des Buches auf den Mlabri liegt, besuchten die Bernatziks noch verschiedene andere Völker Südostasiens auf dieser Reise und dokumentierten dies ausführlich. Über 6000 Fotos  wurden auf dieser Reise gemacht, wobei Bernatzik die Methode des unsichtbaren Objektives anwendete, indem er die fotografierten Personen so in Szene setzte, als ob ihnen das fotografiert werden nicht bewusst wäre. Dadurch erhalten die Fotos eine großartige Ausstrahlung und ästhetische Kraft.

Bernatzik - Die Geister der gelben Blätter - Akha-Frauen

Bernatzik – Die Geister der gelben Blätter – Akha-Frauen

Weitere von Bernatzik behandelte und fotografierte Völker Südostasiens in diesem Buch sind:

Moken: Der Name bedeutet „ins Meer getaucht“. Es handelt sich um  Meernomaden, die von Insel zu Insel ziehen und die meisten Zeit auf Booten leben. Sie ernähren sich von Fischfang und dem Sammeln von essbaren Pflanzen auf den angesteuerten Inseln. Bernatzik berichtet davon, dass der Fischfang schwimmend mit  einem Speer ausgeführt wird.

Bernatzik - Die Geister der gelben Blätter - Moken-Boote und Moken beim Fischen

Bernatzik – Die Geister der gelben Blätter – Moken-Boote und Moken beim Fischen

Semang: – Die Semang sind Jäger und Sammler im tropischer Regenwald. Wegen ihres Aussehens, kleinwüchsig, dunkelhäutig und kraushaarig, werden sie auch als „Negritos“ bezeichnet.

Meau: Auch Hmong genannt, leben in den bewaldeten Berggebieten von Laos, Vietnam und Thailand.

Akha: Auch die Akha sind eines der zahlreichen Bergvölker Südostasiens.

Katschin oder Kachin leben zum größten Teil in China, in einer Minderheit jedoch auch in Myanmar (Birma)

Lisu: Die  Lisu leben in Chian, aber auch auch in Myanmar, Thailand und im indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh.

Lahu: Die Lahu leben in China, aber auch  auch in Laos, Thailand, Myanmar und Vietnam, wo sie zu den Bergvölkern zählen.

Karen: Die Karen leben in Myanmar und Thailand, und zählen zu den südostasiatischen Bergvölkern zählen.

Bernatzik - Die Geister der gelben Blätter - Biet-Mann mit abgefeilten Zähnen

Bernatzik – Die Geister der gelben Blätter – Biet-Mann mit abgefeilten Zähnen

Moi-Stämme in Kambodscha:  Dscharai = Jarai und Biet, letztere pflegten sich die untere Zahnreihe spitz und die obere Zahnreihe völlig abzuschleifen.

Wa:  Die Wa oder auch Va leben in China und  Birma

Das Buch ist auch heute 60 Jahre nach seinem Erscheinen immer noch lesenswert, beschreibt es doch Völker oder wie man heute besser sagt Ethnien, die schon zu Zeit Bernatziks davon bedroht waren ihre kulturelle Einzigartigkeit zu verlieren und von der Zivilisation assimiliert zu werden. Bernatzik hat auch in diesem Buch darauf hingewiesen. Unter anderem kritisiert er auch die Missionarstätigkeit christlicher Kirchen, die ihren Beitrag zu diesem Verfall geleistet haben.

Bernatzik, 1897 im Wien der KuK-Monarchie geboren, starb bereits 1953 im Alter von 56 Jahren an einer Tropenkrankheit. Er war Professor für Ethnologie in Graz.

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Das Buch, das ich hier in einer Auflage von 1961 vor mir liegen habe, enthält etwa 100 S/W-Fotografien und eine Karte.

Es gibt einen Verein, der sich dem Erhalt der Mlabri-Kultur widmet: http://www.mlabri-gesellschaft.de/

FAZ Rezension eines Buches von Doris Byer: „Der Fall Hugo A. Bernatzik“. Ein Leben zwischen Ethnologie und Öffentlichkeit, 1897-1953 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezension-sachbuch-wilde-sind-eben-fotogener-11308405.html

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